Die Lust auf Farbe
Michael Luther im Berliner Kunstherbst 2012
Michael Luther könnte zur Neuentdeckung des Herbsts 2012 werden. Von der aufstrebenden BERLINER LISTE zum Förderkünstler ernannt, fasziniert der in Berlin lebende Künstler zunächst durch seine überragende Handwerklichkeit. In meisterlicher Technik entsteht ein kühner Realismus, der zu den Dingen selbst vordringen will. Erhabene Farblandschaften, konkrete Architekturstudien und Raumatmosphären mit anthropomorphen Qualitäten, Miniaturisierungen und Gigantisierungen, Spiegelungen, Lichtstudien und Selbstreflexionen, einerseits – andererseits Statements zu den Mechanismen des Kunstmarkts.
Michael Luthers Hinwendung zur Malerei ist eine kalkulierte Bedrohung der Oberflächlichkeit. Mit allegorischer Raffinesse und unverbrauchter Doppeldeutigkeit trotzt Michael Luther gesellschaftlichen Erschöpfungszuständen und dekliniert virtuos die Sujets der Alten Meister durch. Nie ohne die Frage nach dem „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“, „Was mache ich?“zu stellen. Bekannt wurde der 1964 geborene Künstler durch ins Monumentale gesteigerte, hyperrealistische Farbkompositionen von überwältigender Sinnlichkeit, wie “Die große Liebe“ (2001), “Schwere See“ (2002), “Emmas Beach“ (2002) und Colourado“ (2005), die der Kunstmarkt derzeit nahezu monochromen Marmorierungen, die wie Röntgenbilder dieser Farblandschaften anmuten.
Man könnte glauben, Michael Luther sei ein Schüler Gerhard Richters. Tatsächlich haben sich die beiden Künstler nie getroffen. Vergleiche sind nicht leicht, denn Luther hat sich die Zeit genommen, eine ganz eigene Haltung zu entwickeln, die sich in der Intensität der Bilder als eigene Handschrift manifestiert und die ihn nun zu einem glücklichen Sonderfall des Kunstmarkts macht. Er ignoriert mediale Experimente, schafft Referenzen auf “die großen Meister“ und bietet ihnen die Stirn, etwa wenn er ein Blindenzeichen, die drei schwarzen Punkte auf gelbem Grund, in Richterscher Unschärfe malt und mit “Hilf mir, Gerhard!“ betitelt. Oder wenn er das Bild, “Krümmung“, seines Malerkollegen Tim Eitel auf der Titelseite des “art - Magazins“ (Nr.6/ 2004) zitiert, Caspar David Friedrichs “Mönch am Meer“ miniaturisiert und verdoppelt, oder Cézannes “Drei Schädel auf einem Orientteppich“ aktualisiert.
Dennoch bleibt der Ausgangspunkt für Michael Luther die Farbe selbst. Aus der Tube gepresste Ölfarbe auf der Palette zu Miniaturlandschaften arrangiert, im Detail abfotografiert und wiederauf die Leinwand übertragen - so entstand “Die große Liebe“. Aus nicht weniger als 1.400 Farbfotografien erwählte Luther eben diese Farbskulptur, um in grandioser Malwut das zu verwirklichen, was die große Liebe als Versprechen bedeuten kann. Mit gleicher Intensität entstand das gigantische wandfüllende Gemälde “Colourado“, in das Michael Luther 1.500 Arbeitsstunden investiert hat. Auf einer Höhe von drei Metern und einer Breite von mehr als dreizehn Metern türmen sich die Farbmassen dieser gewaltigen, schwimmenden Eislandschaft auf. Dieses Bild ist nun als Schlüsselwerk der BERLINER LISTE in den Messehallen zu sehen.
Warum wird Michael Luther immer wieder mit den Alten Meistern verglichen?
Zunächst einmal, weil es dieses Farbvibrieren gibt - wie bei Rothko, Van Gogh und den Malern des 17. Jahrhunderts. Luther gelingen beispielweise in den “Pinselstrichen 6“ (2011-12) diese Übergänge und Raumatmosphären, die seit jeher als unumstrittene Qualitätsmerkmale guter Kunst gelten. Oft schickt Luther seinen Betrachter in scheinbar unbewohnte Räume und lässt ihn die personelle Besetzung selbst vornehmen. Gegenstände und Personen geraten durch seine Hand geradezu zeitlos, etwa das “Gallery Girl“ (2011), das er in einem fast leeren Galerieraum, in angelisches Licht taucht und vielleicht letzte Dinge vollbringen lässt. Oder: In der Serie “corner“ (2008), in denen Luther lapidaren Raumecken anthropomorphe Qualitäten verleiht und der Betrachter Momente weiblicher Anatomie entdecken kann.
Es gibt Ateliers, die wollen in jeder Lebensepoche neu besucht werden. Nicht zuletzt, weil man aktuelle Antworten auf Fragen der Kunst, der Welt oder des Lebens an sich sucht. Michael Luthers Atelier gehört dazu. Hier ist alles Kunst, alles Bekenntnis. Es ist reine Arbeit am Mythos Farbe, Erkundungen der Zwischenräume, der Perspektiven und des Himmels. Luther bringt etwas zurück, das die Kunstgeschichte immer wieder verloren gab: die Malerei als metaphysischen Akt der Selbstvergewisserung.
Verena Voigt M.A. (Kunsthistorikerin) 2012