zu Michael Luthers Bild „art”

 
Michael Luthers Bild „art“ (2006 | Öl auf Leinwand | 210 x 165 cm) spielt ein doppeltes Spiel. Der Künstler vergrößerte ein Cover der Kunstzeitschrift „art“– es zeigt den Namen der Zeitschrift, den Barcode und als Titelabbildung ein Bild des Leipziger Malers Tim Eitel. Damit verweist Luther auf bewährte Potentiale der Malerei, ihre Möglichkeiten der optischen Täuschung und illusionistischen Nachahmung. Zugleich nimmt er auch die Mittel der visuellen Verbreitung in der Verwertungskette genauer unter die Lupe, die Strategien von Bildregie und -inszenierung. Was zu Beginn einfach aussieht, entpuppt sich also beim längeren Nachdenken als Konfrontation mit der Frage nach dem aktuellen Stellenwert der Malerei im Vertriebssystem Kunst.

 

Indem Luther die fotografische Reproduktion des Bildes von Eitel in Malerei umsetzt, das im Original kein Hoch-, sondern ein Querformat ist, wird die Veränderung des Bildes im medialen Kontext zum Thema. Gleichwohl steht das Bild bzw. der Ausschnitt des Bildes im Zentrum der Aufmerksamkeit. ??

Es zeigt ein junges Mädchen vor einer flachen Uferlandschaft mit einem Fotoapparat in der Hand. Ihr Blick ist nicht auf das ferne Meer gerichtet, sondern führt parallel daran vorbei.

 

Auch Eitels Bild ist ein Vexierspiel: es führt die Erwartungen und Fragen des Betrachters ins Leere. Wir wissen nicht, was das Mädchen durch den Fotoapparat fixiert und sind gleichermaßen verwundert, dass es sich gegen die Sonne richtet. Der Blick wird durch die Figur zwar abgelenkt, gleitet aber auch immer wieder an ihr vorbei, in die Bildtiefe zur blauen Horizontlinie und zum wolkenlosen Himmel. ?Da der Sinn der fotografischen Betrachtung verborgen bleibt, werden wir zum Betrachter der betrachtenden Figur – eine Erfindung der Romantik. Eitel geht über die Wahrnehmungsproblematik hinaus, er stellt die Frage des Bildermachens in den Mittelpunkt. Alles kann von jedem fotografisch festgehalten werden, dieser Art von Bildproduktion hält der Künstler seine Möglichkeiten ästhetischer Sublimierung entgegen. ?

 

Michael Luther lenkt die Aufmerksamkeit wiederum auf die Rückverwandlung der Hochkunst zur allzeit verfügbaren bildlichen Massenware. Der Name der Kunstzeitschrift wird hierbei in seiner tautologischen Verwendung zum ironischen Subtext: man bezweifelt den Ernst eines Bildes, das sich selbst als Kunst bezeichnet.

 

Luthers Ansatz ist medien- und gattungskritisch zu verstehen. Der Barcode am rechten Bildrand kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass die starke Vermarktung und die damit verbundene mediale Verwertung der Leipziger Malerei deren durchaus ernst gemeinten bildnerischen Ansatz schnell zur Attitüde erstarren lässt.
 
Jule Reuter, Berlin 2006